FILLER
opening reception on Wednesday,
30 August, 7-9 pm
Sam Lewitt
FILLER
30. August - 21. Oktober 2017
Eröffnung am Mittwoch, dem 30. August, 19-21 Uhr
FILLER, die 4. Ausstellung von Sam Lewitt in der Galerie Buchholz, schließt in erweiterter Form an sein Projekt Stranded Assets an, das derzeit auf der 57. Venedig Biennale zu sehen ist.
Für seine Arbeit in Venedig erwarb der Künstler ein Paar spezieller Wandlampen, auf die er in einem Treppenhaus des kürzlich stillgelegten Heizkraftwerks Giuseppe Volpi in Venedigs Industriehafen Marghera aufmerksam geworden war.(1) Das Kraftwerk wird gerade in ein Vertriebs- und Logistikzentrum umgebaut, es gehört nicht länger der öffentlichen Hand, sondern wurde privatisiert. Damit verschwand es aus den Bilanzen der teilstaatlichen Energiegesellschaft ENEL, die es zuletzt als “überzähligen Bestand“ (stranded asset) geführt hatte. Die Originallampen dienen in Lewitts Biennalepräsentation, die sich im Bereich der Corderie im Arsenale befindet, in der bis zur Errichtung des Kraftwerks in Marghera die Turbinen waren, als Beleuchtung. An den Wänden neben den Lampen zeigt Lewitt eine Reihe von Reproduktionen dieser Wandlampen mit dekorativen Carapace- und Muranoglas Lampenschirmen. Das Material für diese Reproduktionen ist reine, gepresste Treibstoffasche: ein Nebenprodukt, das bei der Raffinerie von Öl in Benzin oder Diesel anfällt. Man verwendet es als Füllstoff und Ersatzmaterial für vielfältige Zwecke im Baugewerbe und in der Konsumartikelindustrie, weil es leicht ist und im Zusammenhang mit Wasser und Druck gut bindet.
In seiner Ausstellung FILLER zeigt Lewitt nun insgesamt 8 Reproduktionen dieser Wandlampen aus Venedig. Hatte er in Venedig die Originallampen aus Marghera zur Beleuchtung der Reproduktionen verwendet, so überführt er für seine Ausstellung in Berlin 4 der Reproduktionen in ihren funktionalen Zustand als Lampen, um damit die Galerie zu beleuchten. Diese vier Lampen werden in einem Abstand zur Wand auf unbemalten, handelsüblichen FGP-Gipsplatten installiert. Ein Material, das genau wie das der Reproduktionen der Lampen selbst, ein Nebenprodukt der Ölraffinierung ist. Die vier anderen Reproduktionen wurden entweder mit lichtabweisendem, opakem schwarzem Glas verkleidet, oder enthalten Sedimente von Fischknochen, die höchstwahrscheinlich in Venedigs Lagunen durch das Ablassen anderer chemischer Flüssigkeiten und industrieller Ablagerungen sauber gefressen wurden.
Energieproduktionszyklen lassen sich als ein Bühnenakt begreifen, bei dem es auch darum geht, dass die Abfallprodukte so weit wie möglich aus der Sichtbarkeit weg geleitet werden. Aber während die Tonnage die Ascheseen der Welt katastrophal zu überfluten droht, verändert sich auf wundersame Weise der Status des Materials in den Geschäftsbüchern: aus einem Haufen unerwünschter Restbestände wird ein Vorrat. In der vormodernen Zementherstellung im imperialen Rom fand die Lavaasche vom Vesus Verwendung. Die Brennstoffasche, die aus den Rauchfängen der modernen Kraftwerke gekratzt wird, dient der Bauwirtschaft als billiges, behelfsmäßiges Füllmaterial, ein Puzzolan mit natürlichen, zementähnlichen Eigenschaften. Anders als die Lavaasche, die ‘gratis’ zur Verfügung steht, stammt das moderne Material aus einer Energieinfrastruktur, deren Strom auf spezifischen Technologien, Gesetzen, Lobbys und Arbeitsübereinkünften beruht, die zum Zweck haben, dass die Ölraffinierung sich auszahlt und dass die Mobilität, die von ihr abhängt, weiterhin möglich erscheint.
Die in Marghera gefundenen Lampen kann man als Artefakte verstehen, deren repräsentative Bedeutung sich verschoben hat: zuvor haben sie einen spezifischen Ort im Stromnetz wie auch im Machtsystem emblematisch sichtbar gemacht und zugeordnet, nun verweisen sie auf ihren eigenen Zirkulationsstau. Die Designparameter deuten in diesem Zusammenhang auf Fragen des repräsentationellen Zugangs hin. Sie fallen mit den gleichsam stromlinienförmig gemachten Konturen einer ‘art decoratif’ zusammen, die die formalen Oberflächen des industriellen Designs verstärkt hat, als diese besonders darauf abzielten, bruchlose Geschwindigkeit zu verkörpern. In ihrer Büchern vergleichbaren Form machen die Lampen eine Geste in Richtung der Kommunikationsmedien der breiten Aufklärung. Zugleich machen sie auch das, was der Sinn der rationalen Industrie ist, der sie entstammen: sie verbreiten Beleuchtung. Die Asche, aus denen diese Formen gepresst werden, markiert eine Zone der schwachen Sichtbarkeit, zwischen der kühlen Sonne der Aufklärung und dem, was sich daraus ergibt, wenn man in der Lage ist, einfach ein Licht anzuknipsen. Das Material, das sich in dieser Zone anhäuft, füllt den buchstäblichen Grund, auf dem die Kultur zirkuliert, die von ihm nichts wissen will: der Asphalt, die Zementpylons die daraus hervorragen, die Wände, die Innenräume bilden. Der Vorhang hebt sich also nicht so sehr, um den Mehrwert sichtbar werden zu lassen: die Bühne selbst wurde schon ganz eindeutig mit ihm gebaut.
S.L.
(1) Giuseppe Volpi di Masurata, Finanzminister unter Mussolini, entwickelte den Hafen von Marghera als die “Lunge” der kulturellen und industriellen Modernisierung der Region. Er widmete in den 1920er und 30er Jahren Staatsgelder für militärisch-industrielle Programme der Landgewinnung um. Seine Maßnahmen waren ein frühes Echo der Kampagne des sventramento oder “Eingeweideentnahme”, in der die urbane Infrastruktur modernisiert und architektonischer Eklektizismus beseitigt werden sollten. Volpi wurde schließlich Präsident der Biennale, die 1932 die erste internationale Film-Biennale einrichtete. Er erwarb auch das Excelsior Palace Hotel auf dem Lido. Volpi trug viel dazu bei, den Faschismus mit dem Kapitalismus zu versöhnen, und auch die Abhängigkeit der Stadt von Tourismus geht wesentlich auf ihn zurück.
Sam Lewitt
FILLER
30 August - 21 October 2017
opening reception on Wednesday, 30 August, 7-9 pm
FILLER, Sam Lewitt’s 4th exhibition at Galerie Buchholz, follows and extends his project Stranded Assets, currently on view in the 57th Venice Biennale.
For Stranded Assets, the artist obtained a set of lamps found in the stairwell of the recently decommissioned Giuseppe Volpi thermoelectric power plant in Venice’s industrial port of Marghera.(1) The plant is in the process of being converted into a privately owned and operated distribution center - having recently become a so-called ‘stranded asset’ on the partially state-owned energy company’s (ENEL) ledgers. The original lamps illuminate Lewitt’s exhibition area in the Biennale, located in the Corderie section of the Arsenale, which housed the area’s turbines until the construction of the site in Marghera in 1922. Lining the walls alongside these lamps are a number of reproductions of their decorative carapace and murano glass shades. The reproductions are made from pure compressed fuel ash: a particulate byproduct of the fuel refinement process, which is utilized as a filler and substitute material for all manner of construction and consumer purposes, due to its light weight and inherent cementing properties when molded with water and pressure.
While the reproductions in Venice are illuminated by the original lights from Marghera, FILLER returns four of the eight reproductions on display to a functional state, supplying light to the gallery. These are mounted away from the wall on unpainted, standard sheets of FGD gypsum plasterboard, which is also materially manufactured from the particulate byproducts of fuel refinement. The four remaining reproductions have been alternately sealed up with light reflective, opaque black glass, and sedimented with the culinary byproducts of fish bones sucked clean from the laguna into which other metabolic products of industry promise to leak.
The stagecraft of energy production cycles summarily directs its waste products as far from visibility as possible. But when the tonnage of the world’s ash-ponds threatens to disastrously overflow, the material’s status on the account books magically transitions from a heap of unwanted residue, to a stock of supplies. Like the lava ash from mount Vesuvius used in the Imperial pre-modern manufacture of cement, the fuel ash that is scrubbed from the smoke stacks of the world’s power plants is used as an expedient and cheap filler for the construction industry, both being ‘pozzolana’ with naturally cementatious properties. Yet unlike lava ash and its ‘freely’ given motive source, the latter is generated by an energy infrastructure whose power distribution depends on specific technologies, laws, lobbies and labor practices aimed at keeping fuel refinement valorized, and the mobility it enables seemingly possible.
The lamps found in Marghera might be understood as artifacts whose significance has representationally shifted from emblematically locating a specific site on the power grid, to signs of their own congested circulation. To this end the lamps’ design parameters suggest questions of representational access, coagulated into the quasi-‘streamlined’ contours of ‘art decoratif’; which bulked-up the formal integuments of industrial design at the same time that its forms were supposed to signify frictionless speed. The lamp’s book-like housing gesture toward the circulation of the communicational media of mass enlightenment, while delivering the utility of mass-illumination through rationalized industry. The ash out of which these forms are compressed mark a zone of low visibility, between the sober sun of enlightenment, and what accrues from simply being able to switch on the lights. The material that piles-up in this zone fills the literal ground on which the culture that abhors it circulates, the pavement, the cement pylons rising out of it, the walls that frame out its interior. The curtain doesn’t so much lift to reveal the surplus: the stage itself has been positively built with it.
S.L.
(1) Giuseppe Volpi di Misurata developed the Port of Marghera as the “lung” of the region’s cultural and industrial modernization. As Mussolini’s finance minister, he diverted state funds to military-industrial programs of land reclamation over the course of the 1920s and 1930s. This was an early echo of the campaign of sventramento or “disembowelment” which attempted to modernize urban infrastructure and clear away architectural eclecticism. Volpi eventually became the president of the Biennale —who in 1932 instituted the world’s first international Biennale of Film —and acquired the Lido’s Excelsior Palace Hotel, helping bring about Fascism’s rapprochement with capitalism and the city’s dependence on tourism.
Sam Lewitt
“Stranded Asset: Filler”, 2017
cast fuel ash, metal hardware, Murano glass, electrical hardware, fluorescent bulbs, aluminium studs, synthetic FDG gypsum sheetrock, spackle, 4 buckets of fuel ash (Kraftwerk Reuter West: Mineral Deutschland GmbH [Berlin], Alma Station: Dairyland Power Cooperative [Wisconsin]), plastic sheeting
object: 77 x 126 x 28 cm,
wall: 260 x 240 x 9 cm
buckets inst. dimensions:
approx. 40 x 140 x 90 cm
installation dimensions variable
Sam Lewitt
“Stranded Asset: Filler”, 2017
cast fuel ash, metal hardware, Murano glass, electrical hardware, fluorescent bulbs, aluminium studs, synthetic FDG gypsum sheetrock, spackle, 4 buckets of fuel ash (Kraftwerk Reuter West: Mineral Deutschland GmbH [Berlin], Alma Station: Dairyland Power Cooperative [Wisconsin]), plastic sheeting
object: 77 x 126 x 28 cm,
wall: 260 x 240 x 9 cm
buckets inst. dimensions:
approx. 40 x 140 x 90 cm
installation dimensions variable
detail
Sam Lewitt
“Stranded Asset: Filler”, 2017
cast fuel ash, metal hardware, Murano glass, electrical hardware, fluorescent bulbs, aluminium studs, synthetic FDG gypsum sheetrock, spackle, PVC compliance sign
object: 77 x 126 x 28 cm, wall: 260 x 240 x 9 cm
installation dimensions variable
Sam Lewitt
“Stranded Asset: Filler”, 2017
cast fuel ash, metal hardware, Murano glass, electrical hardware, fluorescent bulbs, aluminium studs, synthetic FDG gypsum sheetrock, spackle, PVC compliance sign
object: 77 x 126 x 28 cm, wall: 260 x 240 x 9 cm
installation dimensions variable
detail
Sam Lewitt
“Stranded Asset: Filler”, 2017
cast fuel ash, metal hardware, Murano glass, electrical hardware, fluorescent bulbs, aluminium studs, synthetic FDG gypsum sheetrock, spackle, PVC compliance sign
object: 77 x 126 x 28 cm,
wall: 260 x 240 x 9 cm
installation dimensions variable
Sam Lewitt
“Stranded Asset: Filler”, 2017
cast fuel ash, metal hardware, Murano glass, electrical hardware, fluorescent bulbs, aluminium studs, synthetic FDG gypsum sheetrock, spackle, PVC compliance sign
object: 77 x 126 x 28 cm,
wall: 260 x 240 x 9 cm
installation dimensions variable
detail
Sam Lewitt
“Stranded Asset”, 2017
cast fuel ash, metal hardware,
fish bones
77 x 126 x 28 cm
installation view Galerie Buchholz, Berlin 2017
Sam Lewitt
“Stranded Asset: Filler”, 2017
cast fuel ash, metal hardware, Murano glass, electrical hardware, fluorescent bulbs, aluminium studs, synthetic FDG gypsum sheetrock, spackle, PVC compliance sign
object: 77 x 126 x 28 cm,
wall: 260 x 240 x 9 cm
installation dimensions variable