Richard Hawkins

“Smoke-Smoke, Salome.”

3 November 2011 -
7 January 2012

opening reception on Thursday,
3 November, 7-9 pm

EN
DE

Richard Hawkins
“Smoke-Smoke*, Salome.“

 

3. November 2011 - 7. Januar 2012
Eröffnung am Donnerstag, dem 3. November 2011

 

“… es kann kein Zufall sein, daß ich mir diese schönen Köpfe mit den leeren Augen aus
Zeitschriften ausgeschnitten habe.“
- Jean Genet, Notre Dame des Fleurs

 

Zu meinen bevorzugten Interessensgebieten zählt seit Jahren Gustave Moreaus Bild “Salome
tanzt vor Herodes“. Neugierig geworden durch die Tatsache, dass Cindy Burlingham vom Hammer
Museum gerade eine Ausstellung vorbereitet, die sich insbesondere auf Salome konzentriert und
einen seltenen Zugang zum umfangreichen Archiv des Musée Gustave Moreau liefert, konnte ich
nun monatelang Einblick in ihre Recherchen und Lektüre nehmen und mich gedanklich
mit ihr austauschen.

 

Obwohl mich dieses Bild schon immer fasziniert hat, war es mir nie möglich, einen Text beziehungsweise Kontext ausfindig zu machen, welcher der Ausrichtung meines Interesses entspricht. Vor allem in den 1970er Jahren gab es einige Versuche, Moreau als Vorläufer der abstrakten Kunst zu reklamieren, da dieser selbst seine flüchtigsten Ölskizzen betitelte, rahmte und ausstellte. Ich bin davon überzeugt, dass diese Einschätzung durchaus richtig ist. Ich bin mir sogar sicher, dass mir seine Schüler Rouault und Matisse hierin zustimmen würden, aber - ich weiß nicht - zugunsten dieser Reklamation scheint man Moreaus erstaunliche Fähigkeit zu ignorieren, Lockerheit mit Detailgenauigkeit und Narrativität mit Emotion zu verbinden. Und ganz davon abgesehen, dass man hierbei auch die Rolle Turners übersieht - ein um Jahrzehnte älteres Beispiel jener “wesentlich besseren unvollendeten“ Schule -, gab es Belege für diese Bewertungslinie von jeher, ohne dass man dafür jede noch so winzige unausgereifte Skizze hervorkramte. Die meisten der in stärkerem Maße “vollendeten“ Gemälde Moreaus sind gespickt von und funkeln vor kleinen epiphanen Passagen reiner nichtdeskriptiver malerischer Schwelgerei. Die leider fehlende Beobachtung muss vielleicht lauten, dass für die Betrachter von Moreaus bekanntesten Bildern diese auf einzigartige Weise offensichtliche Lust am freien Umgang mit Farbe stets greifbar war; sie mussten lediglich ihre viktorianischen Werte beiseite legen, um die konfliktreichen und schaurigen Grand Guignols Salomes und der Hydra zu erkennen.

 

Was bedeutet es weiterhin, wenn ein Künstler auf mythologisch-religiöse Themen zurückgreift, während im selben Jahr Caillebotte eine reale Pariser Straßenecke an einem Regentag malt (die sich zufälligerweise nur etwa fünf Häuserblocks von Moreaus Atelier in der Rue de La Rochefoucauld entfernt befindet)? Geht Moreau im Gegensatz zu jenem einer wahrhaft ketzerischen und starrsinnigen Tätigkeit nach? Oder doch eher einer störrisch- und nostalgisch-konservativen? Warum verbindet er das Schaurige und Kränkliche mit dem Erotischen, während sich Bouguereau unverändert der akademischen Parteilinie des Drall-Süßlichen verpflichtet fühlt? Wozu eine derartige Betonung der Linie, während Manet sich gleichzeitig in der Stadt aufhält, um mit wenigen lebhaften Pinselhieben ein Porträt Mallarmés zu malen? Wozu solche überreizten Verzierungen, während Cézanne bereits dazu übergegangen ist, selbst Berge auf wenige einfache Grundformen zu reduzieren?

 

Abgesehen von der Reklamationslinie im Hinblick auf eine frühe Form der Abstraktion besagt der zweite aktuelle Diskurs zum Thema Salome, dass diese Figur eine Art Personifizierung des weiblichen Bösen zu Beginn der aufkeimenden Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts darstellt. Dies ist zweifellos richtig - allerdings nur dann, wenn man Kunst zwangsläufig für eine Freudsche Fehlleistung in Bezug auf das Unbewusste der Kultur hält.

 

Will man ein derart großartiges Gemälde aus der Falle einer solch engen (wenn auch demonstrativ gutgemeinten) Deutung retten, sollte man den Blick auf die Erstausstellung des Bildes, die übrigen Elemente innerhalb des Gemäldes und insbesondere - wie schon gesagt - auf jene winzigen juwelenartigen Farb-Rinnsale und -Kügelchen richten, aus denen sich seine Oberfläche zusammensetzt.

 

Ich bin nicht Bataille. Wäre ich es, so würde ich dafür sorgen, dass der zweite Band seines Buchs Die Literatur und das Böse ein Kapitel enthielte, in welchem Antworten auf folgende Fragen zu Moreau und Salome angesprochen werden würden: Man weiß, dass der Künstler sein Bild “Salome tanzt vor Herodes“ anlässlich des Salons von 1876 zusammen mit zwei weiteren Werken zeigte - “Die Erscheinung“ und “Herkules und die Lernäische Hydra“. Unterläuft nun die bewusste
Kombination mit einer mythologischen Thematik die eigentliche Intention der zugrunde liegenden biblischen Geschichte? (So wie etwa der Ton und die geheimnisvolle Poesie von Oscar Wildes Schauspiel zu ebenjenem Thema - man stelle sich hierzu nur einmal vor, dass man im Religionsunterricht im Zusammenhang mit dem Markus-Evangelium auf Wilde oder Moreau verweist, und man wird verstehen, was ich meine.) Findet die Betrachtung von Moreaus Werken nicht durch alle diese drei Bilder - Salome, die Erscheinung und Herkules zusammengenommen - innerhalb eines weniger deterministischen Raums statt, der die Lust am dunklen Überfluss und am Polyperversen mit einschließt? Und welche der einzelnen dargestellten Figuren verfügt in diesen drei Bildern über einen Zugang zur Macht und eine kompromisslose Handlungsfähigkeit? - Der schwache, inzestuöse Herodes? Die beherrschende Herodias, welche die virale Verbreitung des Christentums aufzuhalten versucht? Die Verführerin Salome, die doch lediglich als Katalysator fungiert? Die göttliche Diana/Artemis von Ephesos,** die sich matriarchalisch über die Gesamtszene erhebt und deren unzählige nährende Brüste gleichzeitig abgetrennte Hodentrophäen sind? Der Prophet der “Erscheinung“, der dieselbe Last mit sich herumschleppt, die unfreiwillige Erinnerungen, Zombies und andere Formen der Wiederauferstehung stets miteinander verbindet (sie kreuzen so gut wie überall auf, um sich anschließend hartnäckig dagegen zu wehren, dass man sie wieder loswird)? Die schwächlichste und süßeste unter allen Herkules-Darstellungen der Kunstgeschichte? Die verstreute Masse aus Schädeln und detailliert ausgeführten Leichen zu seinen Füßen? Oder das hydraköpfige Ungeheuer, das mit Artemis einen Überfluss an Organen und mit Johannes dem Täufer eine frustrierende Reanimationsfähigkeit teilt?

 

Und wäre ich Julia Kristeva oder Melanie Klein, würde ich in alledem nicht etwas Tieferes und Grässlicheres sehen als die Gender-Politik der vorletzten Jahrhundertwende? Beispielsweise die reichen, abgestandenen und doch fruchtbaren vorbewussten Reservoirs im Hinblick auf Symbiose und Ambivalenz?

 

Aus diesem Grund - seufz - und ohne eine Antwort auf obige Fragen zu erhalten, habe ich mich dazu entschlossen, meine eigenen Salome-Bilder zu malen.

 

Richard Hawkins, Oktober 2011

 

* Bei vielen Formen des Pidgin English zeigt die Verdopplung des Verbs eine Verlängerung, Vervielfachung oder außerordentliche Intensität einer bestimmten monotonen Tätigkeit an. So bedeutet walk-walk “weiter laufen, als man will“ und talk-talk “unaufhörlich (daher)reden“. Im selben Jargon bezeichnet smoke-smoke einen Blowjob.

 

** Von den meisten der von mir erwähnten “feminist fatale“-Kritikerinnen unbehandelt bleibt im Übrigen die Anwesenheit der Artemis von Ephesos in “Salome tanzt vor Herodes“. Es existiert im Grunde kein nachweisbar biblischer Grund für ihre Existenz, sieht man einmal davon ab, dass Moreau die Szene in der ihr angemessenen Zeit der römischen Antike ansiedelt. Sucht man an dieser Stelle nach Belegen für die Darstellung der Kastrationsangst, so sind diese bereits vorhanden - und zwar kübelweise -, ohne dass man dazu erst die Metapher der Enthauptung bemühen müsste (es sei denn selbstverständlich, man selbst ist Heide und betrachtet den Kastrationskult der Artemis als Beleg für die ekstatischen Grenzen erotisierter Körper, die einen doppelten Dienst im Sinne einer polytheistischen Verehrung einerseits und eines Mehr-Genießens andererseits verrichten).

Richard Hawkins
Smoke-Smoke*, Salome.

 

3 November 2011 - 7 January 2012
opening reception on Thursday, 3 November, 7-9 pm

 

“… it cannot be by chance that I cut those handsome, vacant-eyed heads out of the magazines.”
- Jean Genet, Our Lady of the Flowers

 

A primary interest, for many years, has been Gustave Moreau’s “Salome Dancing Before Herod”. Intrigued by the fact that Cindy Burlingham at the Hammer Museum has been working on an exhibition focusing specifically on Salome and been given rare access to the Musee Moreau’s extensive archives, I have been peeking in on her research, sharing reading material and picking her brain for months now.

 

Though I have always been fascinated by this painting I have never been able to quite find a text or context that matched the direction of my fascinations. There have been some attempts, particularly in the 70s, to recoup Moreau as a forerunner to abstraction for the simple reason that he would title, frame and hang on the wall even the roughest of his rough oil sketches. I’m sure it’s true. I’m even sure his students Rouault and Matisse would agree but … meh … it seems you discount Moreau’s amazing ability to meld looseness with detail and narrative with affect to get at this particular reclamation. And besides having to overlook Turner - a decades-earlier example of the “much better unfinished” school - the evidence for this line of appreciation has always been there without dragging out every little half-baked sketch. Most of Moreau’s more finished paintings are riddled and coruscated with epiphanic little passages of pure non-descriptive painterly indulgences. The observation, sadly lacking, should perhaps be that this singularly evidential joy of pushing paint around was always available to viewers of Moreau’s most publicly well-known pictures; they’d just have to stow their Victorian values and make it through the confrontational and horrific Grand Guignols of Salome and the Hydra to get there.

 

Also, what does it mean that an artist returns to mytho-religious subject matter when - within the same year - Caillebotte is painting a real-life rainy day Paris street corner (one that happens to be only about 5 blocks away from Moreau’s studio on rue de La Rochefoucauld)? Is Moreau doing something really heretical and obstinate in contrast? Or something begrudgingly and nostalgically conservative? Why couple the lurid and sickly with the erotic when Bouguereau is still towing the academic party line for the plump and the saccharine? Why such an emphasis on sharp distinctive line when Manet is across town painting a portrait of Mallarmé with a few breezy whisks of a brush? Why such overwrought embellishment when Cézanne is already working on reducing even mountains to a few very simple rudimentary forms?

 

Aside from the early abstraction line of reclamation, the other discourse that currently surrounds Salome is that she is a kind of personification of feminine evil at the advent of burgeoning 19th century women’s rights. Which is true, obviously - but only if you believe art is inevitably ever more than a Freudian slip of culture’s unconscious. To retrieve such a great painting from the trap of such narrow (though pointedly well-intentioned) interpretation, one might only have to look as far as the painting’s initial exhibition, the other elements within the picture itself and, specifically - as I have said - the tiny jewel-like rivulets and globules of paint that make up its surface.

 

I’m not Bataille. But if I were, I’d want “Visions of Excess, Volume 2” to have a chapter addressing answers to the following questions regarding Moreau and Salome: Knowing that the artist exhibited “Salome Dancing” in the Salon of 1876 alongside two other works - “The Apparition” and “Hercules and the Lernaean Hydra” - does the intentional pairing with mythological subject matter thwart the intention of the original bible story? (Like, for example, the tone and arcane poesis of Oscar Wilde’s play on the same topic does - just imagine bringing up either Wilde or Moreau in your Sunday School class on the Gospel of Mark and you might see what I mean). Don’t all three works - Salome, The Apparition and Hercules together - throw an understanding of Moreau’s work into a less deterministic area where a delight in dark superfluity and the poly-perverse are embraced? And who of the several characters portrayed has access to power and uncompromised agency across the three pictures? - Weak and incestuous Herod? The controlling Herodias who tries to put an end to the viral pollution of Christianity? Seductress yet mere catalyst Salome? Goddess Diana of Ephesus** whose many nurturing breasts are also severed testicular tributes and who looms matriarchally over the whole scene? The apparitional prophet who carries with him the same nuisance that involuntary memories, zombies and other forms of resurrection always have in common (they pop up most anywhere and are then doggedly determined to not be sent away)? The most enfeebled and twinkiest of all representations of Hercules’s known to the history of art? The smattered mass of skulls and finely executed corpses at his feet? Or the Hydra-cephallic monster who shares a superabundance of organs with Diana as well as the frustrating reanimation capabilities of Iokanaan?

 

And if I were Kristeva or Melanie Klein, wouldn’t I see in all this something deeper and more ghastly than turn-of-the century gender politics? The rich, stagnant but fertile pre-conscious pools of symbiosis and ambivalence for example?

 

So - sigh - without answers to these questions, I’ve been making my own Salome paintings.

 

Richard Hawkins, October 2011

 

* In many forms of Pidgin English the doubling-up of a verb indicates the extension, multiplication or abundance of a particular repetitious activity. “Walk-walk” means walking further than you might like and “talk-talk” means talking more than a little. “Smoke-smoke” in the same parlance indicates a blowjob.

 

**Unused by most of these feminist fatale critics I mentioned, by the way, is the presence of Diana of Ephesus herself in “Salome Dancing”. There’s no verifiably scriptural reason why she’s there other than that Moreau sets the scene in appropriately Roman times. If it’s castration anxiety one’s looking for, it’s there already - in buckets - without even having to trudge through the metaphor of a beheading. (Except, of course, if you’re pagan and you see Diana’s castration cult as evidence of the ecstatic limits of eroticized bodies doing double-service as both polytheistic worship and surplus pleasure).

Richard Hawkins

“Smoke-Smoke, Salome.”
installation view Galerie Buchholz, Köln 2011

Richard Hawkins

“Herm”, 2011
glazed ceramic and acrylic on wood
170 x 34,5 x 29 cm
front (detail)

Richard Hawkins

“Smoke-Smoke, Salome.”
installation view Galerie Buchholz, Köln 2011

Richard Hawkins

“Salome Painting: Zacherley”, 2011
oil on canvas
61 x 51 cm

Richard Hawkins

“Salome Painting: Locked up”, 2011
oil on canvas
76 x 63,5 cm

Richard Hawkins

“Salome Painting: Showroom”, 2011
oil on canvas
99 x 82,5 cm

Richard Hawkins

“Smoke-Smoke, Salome.”
installation view Galerie Buchholz, Köln 2011

Richard Hawkins

“Smoke-Smoke, Salome.”
installation view Galerie Buchholz, Köln 2011

Richard Hawkins

“Herm”, 2011
glazed ceramic and acrylic on wood
170 x 34,5 x 29 cm
back (detail)

Richard Hawkins

“Salome Painting: Head of the table II”, 2011
oil on canvas
99 x 82,5 cm

Richard Hawkins

“Smoke-Smoke, Salome.”
installation view Galerie Buchholz, Köln 2011

Richard Hawkins

“Smoke-Smoke, Salome.”
installation view Galerie Buchholz, Köln 2011

Richard Hawkins

“Salome Painting: No body”, 2011
oil on canvas
76 x 63,5 cm

Richard Hawkins

“Salome Painting: Green head”, 2011
oil on canvas
61 x 51 cm

Richard Hawkins

“Smoke-Smoke, Salome.”
installation view Galerie Buchholz, Köln 2011

Richard Hawkins

“Smoke-Smoke, Salome.”
installation view Galerie Buchholz, Köln 2011

Richard Hawkins

“Abstract painting in dungeon frame II”, 2011
oil on canvas, acrylic on panel
96,5 x 86,5 cm

Richard Hawkins

“Abstract painting in dungeon frame I”, 2011
oil on canvas, acrylic on panel
96,5 x 86,5 cm

Richard Hawkins

“Abstract painting in dungeon frame III”, 2011
oil on canvas, acrylic on panel
96,5 x 86,5 cm