Mathias Poledna

“A Village by the Sea”

27 April 2012 -
16 June 2012

Delphi Filmpalast, Kantstraße 12a, Berlin

opening screening:
Friday, 27 April, 1pm

during Gallery Weekend:
Saturday, 28 April, 1pm
Sunday, 29 April, 1pm

each following Saturday until 16 June the film will be presented at 1pm

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Mathias Poledna
“A Village by the Sea”

 

A Village by the Sea (2011) ist ein 35mm-Film von Mathias Poledna. Der in opulentem Schwarzweiß aufgenommene Film dauert knapp sechs Minuten. In einem luxuriösen Apartment oder einer Hotelsuite singen ein Mann und eine Frau in Abendgarderobe ein Musical-Duett. Bei dem Lied handelt es sich um eine Version des von Léo Chauliac und Charles Trenet komponierten Stücks „Que reste-t-il de nos amours?“ (1942) in einer textlichen Neufassung von Poledna. Das Stück wurde für ein dreißigköpfiges Orchester neu arrangiert und im „Eastwood Scoring Stage“ der Warner Brothers Studios in Burbank, Kalifornien, eingespielt, einem der letzten verbliebenen Filmmusik-Aufnahmestudios für großes Orchester. Der gemalte Hintergrund, der aus dem Warner Brothers-Archiv stammt, zeigt einen Blick aus dem Fenster. Jedes einzelne Detail des Films, jede Bewegung der einzelnen Figuren, jede Kamerafahrt, jede Totale und jeder Schnitt wurde akribisch festgelegt und im Drehbuch fixiert.

 

Die Produktion des vorliegenden Films war zweifellos aufwändig - im Abspann werden über achtzig Beteiligte genannt -, und doch hat Polednas Arbeit nichts mit jenem für die zeitgenössische Kunst so typischen vordergründigen Spektakel zu tun. Vielmehr ist der Produktionsaufwand den hohen Ansprüchen des Films selbst geschuldet. Den für den Film wesentlichen kunsthandwerklichen und eskapistisch-fantastischen Elementen stehen ausgleichend andere Elemente gegenüber, die ihrerseits mit akribischer Authentizität umgesetzt wurden. Obgleich die schillernde Skyline der Stadt ebenso überzeugend wirkt wie in einem Film aus den 1930er Jahren, ist sie doch auf den ersten Blick als künstlich, als unmittelbar hinter den Fenstern aufgespannter bemalter Stoff erkennbar. Die Innenausstattung wiederum wurde bis ins kleinste Detail nachempfunden und besteht aus zeittypischem Möbeln und Requisiten.

 

Diese Kombination bewirkt einen bestimmten Stil, eine minuziöse Anordnung von einzelnen Elementen, in denen sich Aneignung und Rekonstruktion ebenso wie ehrliche Wertschätzung und historische Distanz miteinander verbinden. Man könnte an dieser Stelle eine Parallele zur fiktiven Persona Bryan Ferrys ziehen, eine Kombination aus Hollywood-Glamour, klassischem Rock’n’Roll und kontinentaleuropäischem Gigolo-Charme, ebenso wie zu Charles Trenet, dem Verfasser der Originalfassung des Stücks. Trenet war Komponist und Interpret gleichermaßen raffinierter wie populärer Songs, in denen sich französische Chanson-Tradition und amerikanische Swing-Rhythmen mischen, und kultivierte die ausgesprochen artifizielle Figur des „Singing Tramp“.

 

Diese komplexen Kombinationen müssen perfekt umgesetzt werden, damit sie ihre Wirkung entfalten können. Dasselbe lässt sich auch über Polednas Film sagen, der bis ins kleinste Detail der Erreichung seines umfassenden Effekts untergeordnet ist. Poledna distanziert sich von seinem Material (Hollywood, Geschichte, französische und amerikanische Populärmusik), nimmt aber gleichzeitig das Filmhandwerk, die Arbeit mit und zwischen diesen Formen so ernst, dass er jeden Zynismus und jede Ironie vermeidet. Ebenso verweist der Titel an sich, A Village by the Sea, zunächst nicht auf ein zeitgenössisches Kunstwerk oder auf einen Kunstfilm/Künstlerfilm; er vermittelt vielmehr eine mainstreamartige, beinahe zeitlose Qualität.

 

Polednas Interesse gilt im vorliegenden Fall wie auch sonst dem, was gemeinhin als „Vernacular Modernism“ bezeichnet wird. Hierbei untersucht er die verschiedenartigen Tropen bestimmter Epochen und Genres, jene Elemente, die Signale an uns aussenden, dank derer wir als Betrachter wissen, wie sie zu empfangen und zu deuten sind, da wir sie längst internalisiert haben. Poledna deutete einmal an, dass er bewusst eine „fremde“ Beziehung zu jedem seiner Projekte anstrebe. Im besten Fall funktionieren sie fast wie ein Readymade, wie etwas also, das „schon hätte dagewesen sein können“. Sie hätten zwar schon dagewesen sein können, sind es aber nicht. Diese Ambiguität verweist auf etwas Unheimliches, auf eine destabilisierende Ungewissheit im Hinblick auf das, was wir möglicherweise sehen. Dennoch sind uns jenes Penthouse und die Menschen darin auf einer gewissen Ebene zutiefst vertraut, selbst wenn wir ihnen tatsächlich nie zuvor begegnet sind.

 

Die weibliche Hauptrolle spielt Alison Pill, die für ihre Rolle der Zelda Fitzgerald in Woody Allens Midnight in Paris (2011) bekannt ist. Allens Film ist eine komische Travestie im Gewand eines historischen Pastiche. Polednas Arbeit hingegen deutet auf etwas weit Komplexeres und Verwirrenderes hin. In seiner Aneinanderreihung von Einstellungen - von der Eröffnungsszene bis zum Blick der männlichen Hauptfigur in den Spiegel - wirkt Pill als Charakter zugleich anwesend und abwesend im Sinne einer geisterhaften Erscheinung, deren Identität, ja Existenz uneindeutig bleibt. Neben seinem offensichtlichen Bezug zu den Hollywoodmusicals aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise erinnert Polednas gesamter Inszenierungsstil auch an die Verwechslungs- und Screwball-Komödien jener Zeit. In Filmen wie Gregory La Cavas My Man Godfrey (1936) und Preston Sturgess’ Easy Living (1937) oder Sullivan’s Travels (1941) kann sich der Zuschauer bei keiner der Figuren jemals sicher sein, dass sie das ist, was sie zu sein scheint. Die Gesellschaftsstruktur, so wird häufig angedeutet, ist nur Fassade, an die zu glauben das Individuum lediglich vorgibt.

 

Im Hinblick auf seine Auseinandersetzung mit diesem Material interessiert Poledna insbesondere, was er selbst als „Beziehungen und antithetische Momente“ bezeichnet. So lautet ein Couplet seines neuen Liedtextes: „A picture captured in celluloid / Words idly spoken into the void“ (Ein auf Zelluloid gebanntes Bild / Eitel ins Leere gesprochene Worte). Diese Art der Auflistung passt hervorragend zum allgemeinen Genre des klassischen Songwriter-Handwerks und erinnert vielleicht ein wenig an den 1930er-Jahre-Klassiker „These Foolish Things“ („A cigarette that bears a lipstick’s traces / an airline ticket to romantic places“ - Lippenstift an einer Zigarette / Ein Flugticket zu romantischen Orten). Gleichzeitig enthält Polednas Neubearbeitung derartiger Motive in der ersten Zeile eine selbstreferenzielle Beschreibung der Arbeit, die wir soeben betrachten, gefolgt von einem Verweis auf den Wiener Architekten Adolf Loos, dessen Gesammelte Schriften unter dem Titel Ins Leere gesprochen veröffentlicht wurden. Die Figur Loos’ taucht innerhalb von Polednas Werk mehrfach auf, so etwa im Film Double Old Fashion (2009), einer eingehenden filmischen Betrachtung eines von Loos im Jahr 1929 entworfenen Bar-Sets aus Kristallglas.

 

Der Titel Double Old Fashion passt im Grunde zu vielen Arbeiten Polednas, die in der Regel sowohl eine Epoche heraufbeschwören, die in die Vergangenheit zurückführt, als auch die potenziellen Doppeldeutigkeiten, die sich von heute aus nachträglich auf sie projizieren lassen. Diese Auseinandersetzung mit einem bestimmten historischen Moment und einer sehr spezifischen Erscheinungsform seiner - ebenso eskapistischen wie verführerischen - Massenkultur gewinnt in einer heute produzierten künstlerischen Arbeit eine völlig neue Bedeutung, und zwar im Sinne eines Epitaphs auf die Bush-Ära: Unterhaltung vor dem Hintergrund eines systemischen politischen Versagens und des wirtschaftlichen Zusammenbruchs. Während die Kamera sich in der Schlusseinstellung von den Figuren entfernt, fühlt man sich möglicherweise an Karl Marx erinnert: „Alles Ständische und Stehende verdampft.“ Oder aber an Heinrich Heine: „Aus meinen großen Schmerzen mach ich die kleinen Lieder.“

 

Russell Ferguson

Mathias Poledna
“A Village by the Sea”

 

A Village by the Sea (2011) is a 35mm film by Mathias Poledna. It is just under six minutes long, and it is shot in lush black and white. In a luxurious apartment or hotel suite a man and woman in formal evening clothes perform a musical duet. The song is a version of “Que reste-t-il de nos amours?” (1942) by Léo Chauliac and Charles Trenet, with adapted and additional lyrics by Poledna. A new musical arrangement, written for a thirty- piece ensemble, was recorded at the Eastwood Scoring Stage at Warner Brothers Studios in Burbank, California, one of the last remaining scoring stages for full orchestration. The hand-painted backdrop that provides the view outside the windows comes from the Warner Brothers archives. Every single detail of the film was planned out and scripted in advance: every movement by the characters, every tracking and master shot, every cut.

 

It is an undeniably lavish production—more than eighty people are listed in the credits—yet the film does not engage with the kind of conspicuous spectacle endemic in contemporary art. The scale of the production, rather, was mandated by the inexorable demands of the work itself. The elements of artifice and escapist fantasy that are central to the film have to be balanced by other elements that are realized with painstaking authenticity. While the shimmering skyline of the city by night is as convincing as it would have been in a film of the 1930s, it is nevertheless clearly artificial, a painted cloth hanging close to the windows. The interior set, on the other hand, is built out in every detail, and fully furnished with period pieces and props.

 

The combination effect produces a certain style: a meticulous arrangement of elements that bring together appropriation, reconstruction, as well as sincere appreciation and historical detachment. As points of comparison we might think of Bryan Ferry’s invented self, blending Hollywood glamour with vintage rock ‘n’ roll and Continental gigolo charm; or even Charles Trenet himself, author of the original version of the song, a writer and performer of sophisticated yet extremely popular songs that combined the French chanson tradition with American swing rhythms, who cultivated a highly artificial persona as a kind of singing tramp.

 

These elaborate combinations must be executed perfectly if they are not to fall apart. The same can be said for Poledna’s film, which must remain consistent in all its details to produce its larger effect. He is distanced from his material (Hollywood, history, French and American popular music) but he also takes the craft of working with and within these forms very seriously thus avoiding cynicism and or irony. Likewise the title itself, A Village by the Sea, does not suggest a contemporary work of art or an art film, at least initially; instead it has a mainstream, almost timeless quality.

 

Poledna’s interest, here and elsewhere in his work, is in what has been described as “vernacular modernism.” He explores the various tropes of particular periods and genres, the elements that send certain signals to us as viewers that we know how to receive and interpret because we have already internalized them. Poledna has suggested that he consciously aims for an “alien” relationship to each of his projects. When they succeed, they function almost like a readymade, something that “could have been there already.” They could have been there already, but they were not. This ambiguity suggests an element of the uncanny, a destabilizing uncertainty about what we might be seeing. Yet that penthouse and the people in it are still on some level deeply familiar to us, even if we have never actually encountered them before.

 

The female protagonist is played by Alison Pill, known for the role of Zelda Fitzgerald in Woody Allen’s Midnight in Paris (2011). Allen’s film is historical pastiche as comic travesty. Poledna’s work points to something much more complicated and unsettling. His sequence of shots—from the opening scene to the male character looking into the mirror—renders Pill’s character both absent and present at the same time, a spectral presence whose identity and even existence remains ambiguous. Besides the obvious relationship to Depression-era Hollywood musicals, Poledna’s general mise-en-scene also evokes comedies of mistaken identity from the same period. In films such as Gregory La Cava’s My Man Godfrey (1936) or Preston Sturges’s Easy Living (1937) and Sullivan’s Travels (1941), no one is guaranteed to be quite what they seem. The entire structure of society, it is often implied, is a mere façade in which everyone simply pretends to believe.

 

In his approach to this material, Poledna is interested in what he calls “relations and antithetical moments.” Thus in his new lyrics, we have the couplet: “A picture captured in celluloid / Words idly spoken into the void.” This kind of listing fits perfectly with the broader genre of elegant songcraft, reminiscent perhaps of the thirties standard, “These Foolish Things” (“A cigarette that bears a lipstick’s traces / an airline ticket to romantic places”). Yet within Poledna’s re-working of such motifs we find in the first line a self-referential description of the work we are watching at that very moment, immediately followed by a reference to the Viennese architect Adolf Loos, whose collected writings were published under the title Spoken into the Void. Loos has been a recurrent presence in Poledna’s work, most notably in the film Double Old Fashion (2009), a close examination of a crystal bar set he designed in 1929.

 

The title Double Old Fashion could apply to much of Poledna’s work, evoking as it does both a period receding into the past and the potential double meanings that can now be read back onto it. His engagement with a particular historical moment and a very specific manifestation of its mass culture—as escapist as it is seductive—takes on a new meaning in a work made now, as a kind of epitaph for the Bush era: entertainment against a backdrop of systemic political failure and economic breakdown. As the camera pulls away from the characters in the final shot, leaving them behind in their world, it is easy to be reminded of Karl Marx: “All that is solid melts into air.” Or perhaps of Heinrich Heine: “From my great sorrows I make small songs.”

 

Russell Ferguson

Mathias Poledna

“A Village by the Sea”, 2012
b/w offset-print
70 x 50 cm

Delphi Filmpalast, Berlin

Delphi Filmpalast, Berlin

Delphi Filmpalast, Berlin

Mathias Poledna

“A Village by the Sea”, 2011
35mm, b/w, optical sound, 5’40”
35mm frame enlargement

Mathias Poledna

“A Village by the Sea”, 2011
35mm, b/w, optical sound, 5’40”
35mm frame enlargement