Kai Althoff

“Aus Dir”

29 June 2001 -
25 August 2001

opening reception on Friday,
29 June, 7-9 pm

 

 

Kai Althoff
“Aus Dir”
29 June -  25 August 2001

 

“Aus dir” ist Kai Althoffs dritte Ausstellung in der Galerie Daniel Buchholz. Kai Althoff hat gesagt, es handele sich dabei um eine christliche Begegnungsstätte. Was könnte damit gemeint sein? Geht es um eine Thematisierung von gut und böse? Um den quasireligiösen Eifer, mit dem sinnsuchende Heranwachsende bestimmte politische oder stilistische Ideen vertreten? Konkreter an bekannten Vorlieben von Kai Althoff orientiert, könnte hier ein Ort der Bekehrung und Obhut für Schutzbefohlene gemeint sein, wie es in den von der Kirche eingerichteten Jugendzentren im Deutschland der 70er Jahre angelegt war. Die „Christliche Begegnungsstätte“ ist vor allem ein begehbarer Raum, der erlebt werden soll.

 

Es gibt verschiedene Arten von Erlebnisräumen: atmosphärische zum Beispiel, in die man sich begibt, um mit vielen zu sein. Räume vor allem für Jugendliche, der Club, die Kneipe, die Teestube oder das Jugendzentrum. Hier geht es um zumeist flüchtige Begegnungen, um Musik, Gespräche, Gerüche und Körperlichkeit. Solche Räume sind in erster Linie sozial ausgerichtet, sie werden in zerstreuter Gewöhnung rezipiert und nicht in konzentrierter Aufmerksamkeit. Dann gibt es Räume, die primär der Konzentration dienen. Hier soll man gerade nicht zerstreut werden, sondern das Dargebotene aufmerksam und eher distanziert betrachten. Die Galerie ist so ein exemplarischer Raum (von den sozialen Ritualen bei Ausstellungseröffnungen einmal abgesehen). Eine dritte Art ist der Andachtsraum. Er verbindet gewissermaßen Elemente der beiden anderen Raummodelle. Auch hier geht es um Konzentration, allerdings um eine Konzentration ohne kritische Distanz, weil man hier in seiner körperlichen Gesamtheit betroffen sein soll. Dazu passen sinnliche, atmosphärische und auflösende Momente: Musik und Gerüche beispielsweise. Allen drei Raumformen ist gemeinsam, dass sie auf intensive Weise Sinnfragen betreffen. “Aus dir” verbindet diese drei Varianten zu etwas Neuem. Man ist hier in einer eigenen Welt, die der Künstler für sich und seine Bedürfnisse geschaffen hat.

 

Kai Althoff hat dafür in die Galerie Holzwände einziehen lassen, den Galerieraum auf diese Weise verkleinert und verdichtet. Aus einer nicht lokalisierbaren Quelle (“aus dem Off”) sind leise esoterisch anmutende Klänge der 70er-Jahre-Band Popol Vuh zu hören, es riecht nach Duftkerzen und von oben fällt grünliches Licht durch eine transparente Folie. So durchflutet ein Hauch des Immateriellen den Raum. Man ist es bei Kai Althoff längst gewöhnt, sowohl an die esoterischen als auch die progressiven Seiten der 70er Jahre erinnert zu werden, vor allem an deren Vermischungen, an die Schnittmenge von Kultur, Politik, Sexualität und Religion, eben an Sinnfragen, die allumfassend sind.

 

Die Decke ist etwas tiefergelegt und verstärkt dadurch den Eindruck von Dichte und Abgeschlossenheit. Die Bilder an den Wänden berühren im weitesten Sinn christliche Themen. An den Wänden links und an der Stirnseite angebrachte Holzplatten verweisen auf eine Reihe von Chorgestühl. Bei den Bildern handelt es sich vor allem um abfotografierte Abbildungen aus älteren Zeitschriften, zumeist größere Abzüge von bereits irgendwo schon mal abgedruckten Fotos. Das größte und auffälligste auf der linken Seite zeigt eine Runde ausgelassener Mönche beim Essen. Ihr expressives Mienenspiel deutet auf Hierarchien innerhalb der Gruppe und irgendwie auch auf das Thema Sexualität hin. Soll man also eine Ahnung davon erhalten, auf welche Weise der asketische Mönch, der sich geißelt, um der Versuchung zu widerstehen, genau bei diesem Akt sexuelle Lust verspürt (Askese macht beste Laune, klar)? Kann man hier die Erotisierung der Machtverhältnisse herauslesen, wo das zwanghafte Ritual, das die verbotene Versuchung in Schach halten soll, selbst zur Quelle libidinöser Befriedigung wird? Ein isolierter Eindruck könnte in diese Richtung weisen. In der Gesamtheit der Inszenierung tritt er jedoch schnell wieder zurück. Man gewinnt vielmehr den Eindruck, als würden in diesem dichten Stimmungsgestrüpp eher Fragen gestellt und Auswege gesucht, als Deutungen gegeben. Insofern herrscht die Stimmung einer rastlosen Melancholie, die tatsächlich als Ausgangspunkt für soziale Utopien und Glaubensfragen zu dienen scheint. Solche Glaubensfragen tauchen bei Althoff immer wieder auf, sie sind dabei eng gekoppelt an das reale Leben, die Alltagsexistenz mit ihren Beschränkungen und den aufgezwungenen Veränderungen, die sie durchlebt. Hier ist vor allem der Raum als verlassenes Lager, in dem noch letzte Spuren eines Lebens existieren: eine in der Mitte ausgebrannte Schaumgummi-Matte, unzählige, heruntergebrannte Teelichter, ausgelaufene Farbe, Abfall. Die verwahrloste Ruhestätte einer Person, die es “auf ihrem Weg” (adoleszente Sinnfragen betreffend?) nicht mehr ausgehalten hat? Auf der rechten Seite, versteckt hinter einem verwelkten Baum, hängen zwei große “Original”-Fotos, auf denen der Künstler jeweils von hinten abgebildet ist, wie er unbekleidet mit den Knien auf einer Bank hockt. Man möchte erkannt und geliebt werden, in aller Körperlichkeit. Auf diese Deutung bringt einen der Titel der inhaltlich eng an Themen der Ausstellung geführten neuen Platte von Kai Althoffs Band Workshop: „Es liebt dich und deine Körperlichkeit - ein Ausgeflippter.“ Der nackte Künstler als Teil der Installation könnte aber auch für Ausgeliefertsein in die inszenierte Situation stehen, die sich ohne Fluchtpunkt in seinen Körper einschreibt. Und vielleicht ja auch in unseren. Jedenfalls ist die dichte Atmosphäre nach einer gewissen Zeit des Verweilens kaum noch auszuhalten. Das grünliche Leuchten, der einlullende Soundteppich, der süßlich-penetrante Geruch. Gerade die unerträgliche Hitze im Raum am Tag der Eröffnung scheint wie mitinszeniert. Man drängt nach draußen. Luft!

 

Man kennt das von einigen älteren Arbeiten Althoffs (z.B. “Reflux Lux”). Sämtliche Elemente der Installation sind so assoziativ angelegt, dass sie zunächst einen starken Eindruck von Schönheit vermitteln. Dieser verdankt sich nicht zuletzt jugend- und popkulturellen Legierungen, Farben, Tönen, Formen, an die man sich erinnert und die in ihrer Vertrautheit zugleich einen zeitgenössischen, narzisstischen Geschmackskosmos bedienen. Nach einer gewissen Zeit aber bedrängen einen diese Oberflächen, bis sie irgendwann kaum noch auszuhalten sind. Keine Frage: Es soll wohl uns, die Besucher, direkt angehen, uns persönlich betreffen und vielleicht sogar sinnbildlich zum Kotzen bringen (wie es schon einer Figur in “Reflux Lux” erging). Die Bedrückung hat auf den ersten Blick mit unterschiedlichen Vorstellungen von Heim und Schutz zu tun, die man hier immer nur unter der Voraussetzung der Selbstaufgabe zu erhalten scheint. Die meisten Fotos zeigen Zeichnungen mit idyllischen Motiven, Abbildungen von Dörfern, Vogelhäusern, dem Christkindlmarkt, kollektive Situationen jedenfalls, die eine zweifelhafte Wärme versprechen, die aber für viele die einzig verfügbare zu sein scheint. Außen hängen Plakate, die zu einem Leben in christlicher Demut aufrufen. Man kennt ja solche bedrückenden Aufrufe aus Straßenbahnen und Kirchen. Als Teil der Gesamtinszenierung verfügen die Plakate noch über eine zarte Eleganz. Die aber kippt immer wieder ins Bedrückende, sobald man ihnen zu nahe kommt. Dass der Eindruck von Schönheit sich nie wirklich auf löst, ist natürlich ein Aspekt und, wenn man so will, Problem von Ästhetisierung schlechthin.

 

Wie schon in seinen früheren Ausstellungen, in denen es mal ausklappbare Plattencover, uniformierte Figuren oder Fotografien ländlicher Idylle waren, herrscht der Eindruck einer visuellen Verkommenheit, die auf tiefergelegene Mechanismen zu verweisen scheint. Dieses durchgestylte atmosphärische Kraftfeld erzählt also eine Geschichte. Da wären zum Beispiel die Mönche. Sie kommen noch mal in den vier zentralen, im typischen Althoff-Stil gehaltenen Zeichnungen an der Stirnseite ins Spiel. Sie bilden typische Bettelmönche im Sinne Franz von Assisis ab, wie sie zum Beispiel mit einem frierenden Bettler den Mantel teilen. Beim diesem Thema, vor allem in der mittelalterlichen Gestalt der Bettelmönche, denkt man unwillkürlich an eine gemeinschaftliche Aufgabe, ein „gutes Leben“ und ein Glück, das an einen radikalen Verzicht gekoppelt ist. Bettelmönche sind sozusagen das Paradigma für ein Leben in Hingabe und Verzicht als Glücks- und Trostspender. Sie sagen ja zu dem, was „in ihnen glaubt“. Eine Mentalität also, die sehr fern von aktuellen Möglichkeiten und Befindlichkeiten zu liegen scheint. Schon deshalb sind die Gegenwartsbezüge hier keiner Eindeutigkeit ausgesetzt. Wie schon bei Althoffs Ausstellung in den neueröffneten Räumen der Galerie Nagel (“Ein noch zu weiches Gewese der Urian-Bündner”, 1999) werden hier vielfältige Assoziationen und Gedankenspiele um Religion, Männerbünde, Identität und vor allem Sexualität geweckt. (Die Frage, ob hier exklusive Künstlergruppen bzw. die Kunstszene an sich gemeint ist, lassen wir mal beiseite.) In den Gesichtern der Mönche spiegelt sich eine Mischung aus Glück und Qual, Weisheit und Einfalt, man könnte auch sagen Melancholie. Eine Zeichnung beispielsweise zeigt einen jungen Mann, der starke Ähnlichkeit mit dem Künstler, gleichzeitig aber auch die Wundmale Jesu aufweist. Aber vor allem die letzte Zeichnung irritiert so sehr, dass man immer wieder auf sie zurückkommt. Dort ist eine sexuell hochaufgeladene Figur abgebildet, der Teufel beispielsweise. Zwei Mönche wenden sich erschrocken ab. Das Bild erscheint wie die Darstellung einer Traumatisierung oder Heimsuchung. Es könnte sich aber ebenso um einen Cartoon mit einer humorvollen Annäherung zum Thema Sexualität und Wahrheit handeln. Auf dieser Zeichnung kommt aber auch so etwas wie das „Böse“ ins Spiel, das Böse, das sich immer auch dort einzuschleichen scheint, wo das Gute erhofft wird. Es bildet sozusagen stets den Subtext zum Guten. Die Urian-Bündner-Installation sprach dies noch deutlicher aus. Da steht ein Glücksverlangen im Raum, das sich auf die Zeit der Jugend des Künstlers bezieht, als sein Interesse noch “rein und wirklich” war (aus dem von Althoff verfassten Ankündigungstext für das neue Album seiner Band Workshop, der auf der Ausstellung auslag).

 

Hier wird die visuelle Verkommenheit auf die Spitze getrieben. Die Installation besteht überhaupt nahezu vollständig aus wiederverwendetem, also altem Material. Selbst die vier Mönch-Zeichnungen sind keine klassischen Originale, sondern Computerausdrucke, die so eingerahmt sind, dass sie die Aura von Einzelwerken so weit wie möglich verleugnen. Auf diese Weise wirken sämtliche Abbildungen wie vorgefunden, wie Relikte aus der Vergangenheit (oder der Müllkippe). Das gilt insbesondere für zwei alte Fahrräder, die in einer Art Abstellraum stehen. Sie vermitteln den stärksten Eindruck von Heim und Hölle, die den gesamten Schauplatz durchzieht. Der Abstellraum befindet sich am Gang, also jenseits des „immateriellen“ grünen Lichts des Innenraums, was zusätzlich die Spannung zwischen den Wahrnehmungsebenen intensiviert. Das erinnert an den Übergang vom Träumen zum Wachen. Man taumelt vorbei. Der Eindruck von Vorgefundenheit, die Aura der Authentizität, wenn man so will, erzeugt dabei jenes körperliche Gefühl, das für den Betrachter die Distanz auflöst und ebenfalls das Schöne immer wieder ins unaushaltbar Morbide kippen lässt.

 

Umgekehrt erscheint die Inszenierung von Vorgefundenheit wie der Versuch einer Distanzierung des Künstlers von den Einzelteilen, was ihm wiederum ein besonderes Erleben der Ausstellung ermöglicht. Sein besonderes Verhältnis zu den Exponaten besteht zwar in der gezielten “Auswahl”, gleichzeitig kann man sich leichter wieder von Dingen distanzieren, die nicht ursprünglich die „eigenen“ sind, die man zu großen Teilen „nur“ zusammengestellt hat. Althoff ist damit selber ein Neu-Erlebender, sozusagen der Künstler im Selbstversuch. Er und der Betrachter rücken auf diese Weise enger zusammen, so dass der Raum in diesem Sinne tatsächlich zur rituellen Begegnungsstätte wird.
Die „Vorgefundenheit“ der Ausstellungsstücke bringt aber auch das Thema Vergänglichkeit ins Spiel. Insbesondere Schönheit ist vergänglich, also relativ und überhaupt eine Frage der jeweiligen Wertvorstellungen. Vergänglichkeit kann aber umgekehrt auch Verlust bedeuten, womit dann auch das Thema Melancholie angesprochen ist. Kai Althoff hatte zunächst vorgehabt, die Installation in Teilen wieder abzuflammen, wie es mit der Matratze dann im Ansatz passiert ist. Die Ambivalenz zwischen Ausweglosigkeit und Neuanfang löst sich bis zuletzt nicht auf.

 

Michael Kerkmann, August 2001

Kai Althoff

“Aus Dir”
installation view Galerie Daniel Buchholz, Köln 2001

Kai Althoff

“Aus Dir”
installation view Galerie Daniel Buchholz, Köln 2001

Kai Althoff

“Aus Dir”
installation view Galerie Daniel Buchholz, Köln 2001

Kai Althoff

“Aus Dir”
installation view Galerie Daniel Buchholz, Köln 2001

Kai Althoff

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installation view Galerie Daniel Buchholz, Köln 2001
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Kai Althoff

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installation view Galerie Daniel Buchholz, Köln 2001
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installation view Galerie Daniel Buchholz, Köln 2001
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installation view Galerie Daniel Buchholz, Köln 2001
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installation view Galerie Daniel Buchholz, Köln 2001

Kai Althoff

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installation view Galerie Daniel Buchholz, Köln 2001

Kai Althoff

“Aus Dir”
installation view Galerie Daniel Buchholz, Köln 2001

Kai Althoff

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installation view Galerie Daniel Buchholz, Köln 2001

Kai Althoff

“Aus Dir”
installation view Galerie Daniel Buchholz, Köln 2001